
Auf Spurensuche im Kunsthaus
Das Wetter ist nass und kalt, einzig die
bunten Herzblätter machen noch Hoffnung auf ein paar schöne Herbsttage, was der
Laune der beiden Künstlerinnen jedoch keinen Abbruch tut. Unter dem Motto «Von Waldungen
und Lichtungen» bereiten sie sich auf die kommende Midissage vor. Anke Zürn war
bis vor elf Jahren noch als Chemikerin an der ETH tätig und lebte jahrelang den
Spagat zwischen Kunst und Wissenschaft, wodurch sie sich oft erklären musste: Im
Kunstkontext kam es zuweilen vor, dass ihre Materialstudien als chemische
Forschungsarbeit missverstanden wurden und andersrum passierte es auch schon
mal, dass das Publikum ihre wissenschaftlichen Illustrationen als Kunst
interpretierte. Heute geniesst sie umso mehr die Freiheit, spielerisch zu
experimentieren, wobei ihr der wissenschaftliche Hintergrund natürlich zu Gute
kommt.
Wie Tinte entsteht
Zürn stellt aus Galläpfeln der Eichen und Weiden Tinte her. Auch die Lärchenrinden vom Vorgänger, dem Bildhauer Marcel Bernet, dienen ihr als Ausgangsmaterial, schliesslich enthält auch die Rinde Tannine, deren Extrakte sie mit wasserlöslichem Akaziengummi versetzt. Zusammen mit Eisensulfat entsteht schliesslich der Farbstoff, den sie ornamental auf Papier aufträgt. Zürn betreibt in der Nähe von Porrentruy einen grossen Garten. Auf die Frage, was sie in Klosters besonders inspiriere, meint sie: «Mich treibt die Frage der eigenen Materialressourcen und wie man damit überleben kann, an, sei dies in Klosters oder auch anderswo.» Kürzlich weilte sie für sieben Wochen in Senegal, wo sie Tinte aus Akazien herstellte, mit der sie auch in Klosters weiter arbeitet.
Von Rollen und Qulturen
Ein besonderes Material brachte Hanga Séra mit ins Kunsthaus. Vor vier Jahren erhielt sie von der RUWA AG in Küblis meterlange ca. zehn Zentimeter breite Holzspäne. Während eines Atelieraufenthaltes in Lichtenstein begann sie mit den langen dünnen, wie Pergament anmutenden Holzspänen installativ zu arbeiten. Diese Arbeit findet im Kunsthaus Klosters jetzt eine Fortsetzung. Auch für die gebürtige Ungarin, die seit elf Jahren als Künstlerin und Architektin in Zürich lebt, ist das Jonglieren mit verschiedenen Identitäten und Rollen immer wieder ein Thema. In Klosters geht sie der Walser-Qultur auf den Grund. In Interviews will sie erfahren, was die Walser-Identität ausmacht. «Auf die Frage, wie auch ich Walserin werden könne, gibt es nur die eine Antwort: Einen Walser heiraten», erzählt Séra lachend. Ausserdem setzt sich die Künstlerin mit den Sinnsprüchen und Runen an den Hauswänden auseinander. Eine Auswahl von Sprüchen stempelt sie neben Antworten aus den Interviews mit roter Farbe auf die Holzspäne.
Waches Geschichtsbewusstsein
In einem über hundert jährigen Lexikon, das die beiden Künstlerinnen im alten Schulhaus fanden, stiess Séra auf den deutschen Begriff der Kumanen, eine ungarische Volksgruppe, der auch ihre Vorfahren angehörten. Diese seien vor 800 Jahren aus Asien in die Puszta gekommen, erzählt sie. Die Lebensbedingungen in der Steppe seien hart gewesen. «Obwohl die Walser eine ganz andere Geschichte haben, gibt es zwischen den beiden Gruppen viele Parallelen», so Séra. So schreibe man auch den Kumanen ähnlich wie den Walsern Charaktereigenschaften wie Eigenständigkeit, Starrsinn, Stolz und Freiheitsliebe zu. Die Künstlerin bewundert das Geschichtsbewusstsein und den Zusammenhalt der Walser und beleuchtet die Tradition aus dem eigenen Blick der einst Zugewanderten, die auch schon bei Peter Trachsels Performance-Reihe «Chur durchwühlen» mit ihren gestrickten Porträts für Staunen sorgte.
Mit Anke Zürn und Hanga Séra logieren zwei Künstlerinnen im Kunsthaus Klosters, die sich ganz auf den Ort und seine Ressourcen einlassen. Das Publikum darf gespannt sein, welche Spuren die beiden Künstlerinnen an der Midissage (offen) legen werden.
Freitag 14. Oktober, 17.00 Uhr: Midissage Kunsthaus Klosters, Von Waldungen und Lichtungen