«Defensive Wearables»
Bild/Illu/Video: zVg.

«Defensive Wearables»

Sie hatte sich Wearables gekauft und wurde von allen deswegen belächelt, doch ihr machte das nichts aus, denn sie hatte besondere Wearables an. Es handelte sich um hautengen Zweiteiler, wie ein Jogginganzug der nicht schlabberig an ihr runterhing, sondern fest an ihr klebte. Sie hatte aber nicht die Figur von Catwoman, eher die Figur von Fatwoman, ein paar Kilos überall zu viel, nach der Geburt war das nun mal so. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie Hendrik auch Wearables gekauft, aber in seiner Babygrösse gab es sie nicht.  Sie, sie hiess Petra und sie, hatte Angst um ihr Leben, sie hatte Angst, dass die Ex-Freundinnen von ihrem Mann, Hendriks Vater, sie umbringen wollten, also hatte sie sich Wearables gekauft, nicht um Puls messen zu lassen, sondern um sich zu verteidigen. Diese neuen Klamotten wie sie es manchmal im Geiste dachte, würden wenn sie auf bestimmte weiche Knöpfe drückte, Dämpfe absondern. Diese würden jeden Angreifer, der sich auf sie werfen und sie vergewaltigen wollte, betäuben, wenn nicht sogar ins Koma versetzen.


Sie müsste dann eben nur den Anfang überleben, also wenn der Angreifer sie zu Boden wirft und sich an ihr vergehen will. Sollte der Angreifer ein Messer haben und ihre «Klamotte» beschädigen, würden die Dämpfe ebenfalls abgesondert werden, auch wenn sie erschossen werden sollte, wobei sie da Angst hatte, dass die Dämpfe nicht weit genug reichen würden. Aber die Klamotten waren ja auch schusssicher, nur ihr Kopf war ausgeliefert.


Petra hatte Angst, sie hatte Angst, seit dem Augenblick als sie von den Ex-Freundinnen von ihrem Mann gehört hatte. Er hatte ihr nichts erzählt, sie hatte es von einer unfreundlichen Nachbarin erfahren. Die unfreundliche Nachbarin hatte gefragt: «Und Ihnen macht es nichts aus, so nahe an Sophie und Elke zu wohnen?» Dann schilderte sie genüsslich, dass Sophie und Elke gleich um die Ecke wohnten, dass Sophie und dann manchmal Elke öfters bei ihm zu Hause waren, sie hatten sowas wie «on und off»- Beziehungen, mal lief es- mal lief es nicht.


Petra weiss noch genau, dass sie an diesem Tag vom Supermarkt zurückkam, als die unfreundliche Nachbarin ihr das sagte, einfach so, zwischen Tür und Angel und dass man sich immer sorgen müsste, wenn eifersüchtige Ex-Freundinnen auf der Lauer wären.


Eifersucht geben Ex-Freundinnen ja nie zu, aber Elke und Sophie schon, die sich übrigens auch gegenseitig gut kannten. Ob sie und ihr Mann, ob alle drei gemeinsam, gleichzeitig also…. Wobei nein, sie hatte neue Möbel bestellt und alles neu eingerichtet, nicht weil sie es wollte, er wollte es, seine alten Möbel wären «durchgesessen».


Ex-Freundinnen geben doch keine Eifersucht zu, normalerweise halten doch die wenigsten Ex-Freundinnen noch Kontakt zum Ex-Freund. In diesem Falle, aber waren die Ex-Freundinnen sehr darauf bedacht Kontakt zu halten, online auf Facebook, auf Whatsapp und weiss der Geier was noch. Die Attitüde, dass sie über ihren Ex-Freund hinweg seien, diese hatten sie nicht, beide schrieben ihm in regelmässigen Abständen, dass wenn «deine Neue» weg ist, sie «gerne ihren alten Platz» an seiner Seite übernehmen wollen würden.


Er schickte ein Augenzwinkern und ein «bei uns alles gut», manchmal las sie nämlich mit. Als sie fragte wer sie seien, sagte er «ach, so alte Freundinnen von mir, so Spinnereien.» Und lächelte in sich hinein.

Es folgten anonyme Anrufe, die Petra zu blockieren versuchte und Dinge wurden gegen ihr Fenster geworfen, auch gegen Hendricks Fenster. Sie bekam Herzklopfen, sie hatte Angst, er lag noch im Halbschlaf und sagte, sie sollte sich beim Arzt durchchecken lassen, ihre Ängstlichkeit wäre langsam lästig.


Dr. Google half ihr dann tatsächlich und et voilà: Die Wearables, dampfend aus der Krise! Dann fühlte sie sich sicherer und welche für Hendrik würde sie auch noch gern bestellen. Nur für ihren Mann vielleicht nicht, er würde ihr weder glauben, noch sie in Schutz nehmen, noch tragen was sie ihm gekauft hätte. Sie könnte sich scheiden lassen, aber sie hatte 30 Jahre alleine gelebt, sie wollte nicht geschieden alleine leben. Sie wollte nicht, dass Elke und Sophie einfach einzogen, aber manchmal wenn sie schweiss gebadet aufwachte und ihr Mann nur schnarchte, wollte sie einfach nur weg mit Hendrik und sonst nichts.


Abgesehen davon in den Kopf geschossen zu werden, war da noch mit einer tödlichen oder ätzenden oder tödlichen und ätzenden Flüssigkeit übergossen zu werden, von einem vorbeilaufenden Jogger. Manchmal stellte sie ich vor, Elke oder Sophie würden jemanden anheuern der an ihr vorbeilaufen würde und sie entstellen würde. Dann müsste sie eben immer eine Art Regenschirm mitnehmen, um Flüssigkeiten abzuwehren, ein Regenschirm der smart wäre, der sofort aufgehen würde, aber nicht durch einen Knopfdruck, sondern allein durch einen Gedanken der mit einem farblosen Kabel mit ihren Kopf verbinden.


Sie war oft zu Hause, denn sie hörte auf spazieren zu gehen, sie hörte auf mit Hendrik zum Spielplatz zu gehen und sie versuchte ihn zu Hause zu beschäftigen. Sie hörte auf bummeln zu gehen und Essen liess sie sich liefern. Seitdem sie öfters das Gefühl hatte von Jemanden auf der Strasse fotografiert zu werden und verfolgt zu werden. Kein Wort von all dem konnte sie ihrem Mann sagen. Manchmal wenn sie ihn beobachtete, dachte sie sich, dass er das doch unmöglich wert sein kann, soviel Umstand, dass er sie ohnehin seit der Geburt weniger bis gar nicht mehr lieben würde, dachte sie sich zumindest.


Doch jetzt mit den Wearables, mit den smarten vernetzten Wearables, die sie am liebsten direkt mit der Polizei verbinden lassen würde, fühlte sie sich ein bisschen sicherer und nicht mehr so schrecklich verfolgt oder unter Druck, wenn sie nur nicht manchmal in der Post das eine oder andere Kuvert fand, wo ein wild zerschnittenes Herz zu finden war.


An jenem Tag war es verregnet, sie dachte sich, dass Regen ihr Vorteil war. Bei Regen, dachte sie sich würden Elke und Sophia bestimmt keine Lust haben ihr nachzustellen, ihr Angst zu machen, an Regentagen, chatteten sie am liebsten mit ihrem Mann. Petras Mann war nämlich Notar, er war immer am Schreibtisch, immer. Er sah auch sehr seriös aus, in Anzug und Krawatte und er war eben sehr kommunikativ, das konnte man ihm einfach nicht absprechen oder wegnehmen, es sei denn, man würde sein Laptop oder sein Apple Computer einfach mal zerschmettern, aber das würde Petra nie tun. Die Wohnung in der sie wohnten, war einfach genau neben seiner Kanzlei, er hatte quasi das ganze Stockwerk für sich, beziehungsweise für sie, also für seine Familie, und das bedeutet Petra, also sie und ihr gemeinsamer Sohn.


Manchmal dachte sich Petra, dass das der Hauptgrund sein muss, die Immobilie, warum ihr Mann so beliebt war, in der Frauenwelt, besonders bei Elke und Sophie, ganz einfach die Immobilie, das ganze Stockwerk. Er war zwar witzig geistreich und charmant, aber manchmal auf fies. Elke und Sophie mussten sich doch daran erinnern, dass er auch oft fies war, aber das war ihnen egal, nahm Petra an, mit Hendrik auf den Arm, die Treppen hinabsteigend. Beide waren sie dick eingepackt und sie freute sich schon ein bisschen unbeschwert die Strassen auf und ab zu gehen, mit ihre Dampf abgebenden Wearables, nur ein Regenmantel darüber tragend.


Doch dann gerade als eine blonde Joggerin durchnässt vom Regen mit Handy in der Hand auf sie gerichtet sie fotografierte, vermutlich damit Elke und Sophie sich über das Foto lustig machen konnten, dass ausgerechnet sie seine Frau geworden ist , stillos und durchschnittlich wie sie aussah. Gerade als so eine blonde Joggerin also ihr Handy auf sie richtete und Petra zu allem bereit, den Dampf der sie verteidigen sollte, aktivieren wollte und Hendrik gut eingewickelt hatte, in einem Bruchteil einer Sekunde, fuhr ein Auto ein Stück auf den Bürgersteig und erfasste sie und Hendrik und alles woran sie dann dachte war, dass Blut das einem aus dem Mund kommt, nach Eisen schmeckt.



























Mehr zur Autorin

Shoka Golsabahi wurd 1983 geboren, hat kaukasische Wurzeln und ist aufgewachsen in Wien. Sie hat ein Studium in Kunstgeschichte abgeschlossen, arbeitet als freiberufliche Kunsthistorikerin. Ihre erste Theatervorstellung gab sie mit 16 an der roten Bar im Volkstheater Wien. Inzwischen besitzt Golsabahi einen Vertrag mit mahagi.ch, seit dem sind von ihr zahlreiche poetische Werke, Romane und wissenschaftliche Texte beim Verlag «Blaue Eule» erschienen. Die Autorin lebt in Berlin.

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