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Ich will einen Wunschkaiserschnitt!
Bild/Illu/Video: zVg.

Ich will einen Wunschkaiserschnitt!

Ganz ehrlich: Früher habe ich Frauen verurteilt, die sich von Anfang an einen Kaiserschnitt wünschen. Dafür möchte ich mich heute offiziell entschuldigen. Ich habe weder eure Beweggründe, noch Erfahrungen und/oder Ängste gekannt. Daher war es falsch von mir! Sorry!

Nun wollt ihr sicher wissen, was meine Ansicht verändert hat. Natürlich die Geburt meines eigenen Kindes. Vor zwei Jahren fuhr ich mit meinem Mann unter Wehen ins Spital, zuversichtlich mein Kind natürlich zu gebären – am liebsten ohne Schmerzmittel und andere Eingriffe. Ich wollte genauso gebären, wie das die Natur vorgesehen hat (und alle propagieren). Aber es kam alles anders.

Nach zirka 12 Stunden Wehen hatte sich mein Muttermund lediglich um fünf anstatt zehn Zentimeter geöffnet. Dazu verschlechterten sich die Herztöne meines Kindes. Plötzlich standen zahlreiche Ärzte in meinem Zimmer. Unter den heftigsten Wehen wurde ich untersucht. Dann die Entscheidung: Es ist dringend ein Kaiserschnitt nötig!

Ich wurde in den Operationssaal geschoben, während mein Mann in einem Nebenzimmer warten musste. Für die Spinalanästhesie sollte ich ruhig sitzen - unter Wehen fast unmöglich. Meine Arme wurden am Operationstisch befestigt. Ein Gefühl, das ich nicht mehr vergessen werde. Ich konnte die Wehen nicht mehr verarbeiten und musste vor Schmerzen schreien. Ich fühlte mich wie eine Irre, die ruhig gestellt werden musste.

Der Horror für mich. Aber wahrscheinlich noch schlimmer für meinen Mann. Er musste sich alles hilflos aus dem Nebenzimmer mitanhören, ohne zu wissen, was gerade passiert. Als ich bereit für die OP war, durfte er zu mir in den Operationssaal. Das war sehr schön. Die Teilbetäubung wirkte und ich war froh, dass bald alles vorbei sein wird und ich endlich unser Kind in die Arme schliessen kann. Heute staune ich, dass ich trotz der brenzligen Situation so ein Vertrauen hatte, das alles gut geht.

Innerhalb einer Viertelstunde war unser Sohn da – gesund! Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war einfach nur glücklich und dankbar! Der ungeplante Verlauf der Geburt war vergessen. Zumindest für kurze Zeit. Als ich am nächsten Tag das erste Mal alleine in unserem Familienzimmer war, mit meinem Wunder im Arm, kugelten plötzlich die Tränen. Was hatte ich bei der Geburt falsch gemacht? Hätte ich auf die Hebamme hören und eine PDA zulassen sollen? Das war nur eine von vielen Fragen, die mir durch den Kopf ging.

Die Hebammen im Spital versicherten mir, dass ich keine Schuld am Kaiserschnitt hatte. Ich aber fühlte mich schuldig und als Versager! Jede Frau schafft es, normal zu gebären, nur ich nicht! Das war tatsächlich mein Gedanke. Dieser wurde verstärkt durch die mitleidendigen Blicke und Worte der Besucher, wenn sie erfuhren, dass ich einen Kaiserschnitt hatte. Das wertete meine Geburt ab und stimmte mich traurig – Denn:

Die Geburt meines Sohnes war trotz Notfall-Kaiserschnitt ein wunderschönes Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Ich begann mich mit dem Thema Kaiserschnitt auseinanderzusetzen und tauschte mich mit Betroffenen aus. Plötzlich wurde mir bewusst: Meine Gefühle des Versagens sind beeinflusst durch die gesellschaftliche Ansicht einer idealen Geburt – und völlig unberechtigt! Denn was ist eine ideale Geburt? Gibt es überhaupt die ideale Geburt?

Jetzt bin ich mit meinem zweiten Kind schwanger - Und für mich steht fest: Ich werde dieses Mal direkt einen Kaiserschnitt wählen. Hut ab vor jeder Frau, die es nach einem Notfall-Kaiserschnitt noch einmal natürlich probiert. Ich gehöre definitiv nicht dazu! Ich will nicht noch einmal unter heftigsten Wehen in den Operationssaal geschoben werden. Ich habe Angst, wieder mein Kind zu gefährden. Und – da bin ich ehrlich – erhoffe ich mir auch, mit einem geplanten Kaiserschnitt den Frieden mit meinem ersten ungeplanten Kaiserschnitt schliessen zu können.

Wer jetzt denkt, dass mein Wunschkaiserschnitt wegen meiner ersten Geburt mehr Berechtigung hat als ein primärer Wunschkaiserschnitt, der irrt sich. Ich zitiere an dieser Stelle gerne meine künftige Wochenbett-Hebamme, als ich ihr erzählt habe, dass ich dieses Mal direkt einen Kaiserschnitt möchte: «Wir sind im 21. Jahrhundert und Frauen dürfen heute selbstbestimmt gebären!»

Genau, liebe Frauen, gebärt genauso, wie ihr es für richtig hält – sei es zu Hause, im Geburtshaus oder im Spital! Mit oder ohne Medikamente - mit oder ohne medizinischen Eingriff! Es ist euer Körper und eure Geburt! Lasst euch bloss nichts einreden und schon gar nicht durch das gesellschaftliche Bild einer perfekten Geburt beeinflussen!


Zum Schluss noch ein paar Fakten…

Im Kantonsspital Graubünden wurden im Jahr 2018 1066 Geburten durchgeführt, davon 361 Kaiserschnitte (34 Prozent). 60 Prozent der Kaiserschnitte waren ungeplant, 40 Prozent geplant.

Im Spital Grabs wurden im Jahr 2018 891 Geburten durchgeführt, davon 208 Kaiserschnitte (23 Prozent). Die Hälfte der Kaiserschnitte waren ungeplant.

Schweizweit beträgt die Kaiserschnittrate rund 32 Prozent.

Die häufigsten Ursachen für einen ungeplanten Kaiserschnittsind ein Geburtsstillstand und schlechte Herztöne des Kindes. Weitere Gründe sind eine erfolglose Geburtseinleitung oder eine plötzliche Erkrankung der Mutter.

Die häufigsten Gründe für einen geplanten Kaiserschnittsind, wenn eine Frau bereits einen oder mehrere Kaiserschnitte (geplant oder ungeplant) hatte oder eine besondere Kindslage vorliegt (zum Beispiel Quer- oder Beckenendlage). Weitere Gründe sind zu enge mütterliche Beckenverhältnisse und mütterliche oder kindliche Erkrankungen, die gegen eine vaginale Geburt sprechen. Zudem gibt es Frauen, die sich primär einen Kaiserschnitt wünschen oder nach einer ersten schwierigen natürlichen Geburt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau nach einem Kaiserschnitt natürlich gebären kann, liegt bei ca. 50 Prozent.

… und wie immer noch ein paar Worte zum Bild:

Das Foto hat mir ein anderes Kaiserschnitt-Mami zur Verfügung gestellt. Ein herzliches Dankeschön dafür! Ich habe es nicht geschafft, vor meiner zweiten Schwangerschaft ein schönes Bild meiner Narbe zu machen. Ich möchte das nach dieser Geburt nachholen.

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