
No Time to Die – und für anderes eigentlich auch nicht
Als Bemerkung vorweg: ich versuche, nichts oder nur ganz wenig aus dem Film vorwegzunehmen, also keine Angst, no spoilers, ich bin keine Spassbremse.
Zuerst zu Bond natürlich, denn ohne Betrachtung der Ikone selbst ist kein Urteil über den neusten Film möglich, denke ich. Bond, James Bond, fing für mich mit Sean Connery an und wenn ich mir die Veränderung der Figur über Roger Moore, Georg Lazenby, Timothy Dalton, Pierce Brosnan und Daniel Craig ansehe, wirkt wieder einmal eine (film-)literarische Figur und ihre Rezeption wie ein Destillat des jeweiligen Moments und weniger wie ein literari-scher Fels in der Brandung der sich verändernden Zeit. Vielleicht wäre Hercule Poirot ein solches Beispiel, diese Detektivfigur scheint festgemauert in der Phase des frühen 20. Jahrhunderts und den Orient Express als Airbus A380 zu interpretieren, erscheint so gut wie unmöglich. Obwohl - , im Jahr 2019 versuchte Daniel Craig genau dies, indem er in Rian Johnsons «Knives Out», einem extrem gut gemachten und genauso witzigen Whodunnit, den Poirot-Clone Benoit Blanc spielte, zusammen mit Christopher Plummer, Jamie Lee Curtis und vielen anderen illustren Künstlern.
Sir Sean Connery verkörperte Bond als Symbolfigur britischen Kolonialgeistes, nicht so sehr im Sinne von «Wir erschliessen neue Kolonien», sondern eher «Wir bringen der Welt Stil und das Licht der Zivilisation, während wir kultiviert das globale Böse bekämpfen». Die Welt war dann in Ordnung, die Rollen klar und nicht hinterfragt und – darf ich’s sagen: es gab noch eine unbeschreibliche Leichtigkeit und ganz viel Spass. Dieses eherne Fundament begann für mich erst mit Pierce Brosnan zu bröckeln, bei dem der Tod seiner Partnerin Teri Hatcher im Hotel Atlantic in Hamburg die ersten Falten in seiner steifen Oberlippe zu verursachen schien. In Daniel Craig dann scheint sich ein Trend weiterzuentwickeln, der in anderen Universen (Marvel und DC zum Beispiel) anscheinend schon vor einiger Zeit abgeschlossen worden war. Frank Millers von Selbstzweifeln zerrissener Batman von 1988/90 (Batman Year One, Batman Year Two, Titan Books und DC Comics), Supermans Kampf gegen Batman und das permanente Infighting unter Marvels Avengers um Tony Starks Iron Man, der ab 2018 bei Marvel Comics eine eigene Reihe bekommen hat, legen davon beredtes Zeugnis ab.
Die Zeiten sind komplexer geworden, die Grenzen zwischen Gut und Böse, weiblicher und männlicher Rolle ebenso, bezieungsweise die neuen Bereiche beinhalten gut und böse, weiblich und männlich, aber noch viel mehr ausserdem. Dem wird in der Figur des zerbrochenen Kämpfers für die britische Zivilisation Rechnung getragen, der sich am Ende zwischen allen Fronten sieht. Nicht zu Unrecht ist er zu Beginn des Filmes in Pension, wird aber natürlich reaktiviert und gesellt sich zu seinen ehemaligen Mitstreitern, die alle, Q, M, etc., zumindest an körperlicher Gravitas zugenommen zu haben scheinen.
Männer, natürlich. Die Rolle der Frauen in der Mehrheit der früheren Filme beschränkt sich – ausser auf Moneypenny und Dame Judi Dench – auf die der Bond-Girls und manche Namen der Damen sind aus heutiger Sicht so peinlich, dass meine Finger sie zu nennen sich sträuben. Die Rolle von Honor Blackman in Goldfinger mag für alle stehen. Manche begegnen Bond wie Schiffe in der Nacht, sie segeln nach einem Intermezzo mit James weiter, meistens sogar in die ewige Nacht, manchmal in Erdöl eingehüllt, manchmal in Gold (Gert Fröbe hatte Stil), mal im Pool, manchmal am Strand in der Hängematte. Immerhin schafft Monica Belucci in «Spectre» es wahrscheinlich zu überleben, falls Felix Leiter schnell genug ist. Noch heute ist es mir völlig unerklärlich, warum Belucci sich als fantastische Schauspielerin von Weltruhm für so eine stereotype Konsumations-Szene hergegeben hat: von der Beerdigung ihres Mannes und ins Bett mit Bond in drei Minuten. Und dann ist er natürlich schon wieder unterwegs, die Welt zu retten.
Honey Rider alias Ursula Andress hat natürlich mit ihrer Rolle im ersten Bond Weltgeschichte geschrieben, ihr wichtigstes Accessoire, der Bikini, ist übrigens 2001 für £ 35'000 versteigert worden und Grace Jones als May Day in «Im Angesicht des Todes» ist zumindest für mich ziemlich der einzige Grund, diesen eher schlechten Bond anzuschauen.
Und, wie ist es nun im neuesten Bond? Ohne die Spannung nehmen zu wollen, - man kann ruhig über die neueste «Bereicherung» des Bond Casts reden -, ohne diese zu verderben, denn – ausser einer Dame – haben sie nicht so wirklich eine Funktion. Agent Palomas Auftritt bei der Entführung eines Wissenschaftlers auf Cuba hatte ausser einigen spektakulären Stunts von ihr keinerlei für mich erkennbaren Sinn, der die Handlung vorangetrieben haben könnte. Sogar Craig/Bond selbst schien von ihrem einfachen «So, das war’s.
Bis hier bin ich dabei, nun bin ich mal weg» völlig überrascht worden zu sein. Ihr «Bleib das nächste Mal länger» war dann nur noch flach.
Nomi hätte es sein können. Lashana Lynch als Trägerin der 007-Kennung – Bond war ja pensioniert – hätte endlich die starke und gleichzeitig weibliche Gegenkraft und zeitgemässe Weiterentwicklung seiner Rolle im Film sein können, jedenfalls habe ich das die ersten Mi-nuten im Film gehofft und fast gedacht. Aber dann wird aus der Powerfrau nichts anderes als eine weitere Assistentin, die sogar bei M den Antrag stellt, Bond wieder die Double-OhSeven zurück zu geben. Welch Verschwendung einer möglichen Weiterentwicklung.
Stimmt, wenn da nicht der Hauptplot wäre, dem im Film alles untergeordnet wird, und irgendwo macht das auch Sinn. Madeleine Swanns eher dürftige schauspielerische Leistung fällt dabei nicht allzu sehr ins Gewicht, die Rolle als Bonds Haupt-«Love Interest» lässt sich auch durch minimales Method-Acting füllen.
Also, trotzdem ein guter Film, ein lohnenswerter Bond? Sicher.
Der Film zeigt ein Feuerwerk, oder eher: Maschinengewehrfeuer an Action und Stunts, überrascht mit filmischen Wendungen und optischer Opulenz. Andererseits, falls jemand sich in den früheren Filmen an witzigen Dialogen mit geistreichen Anspielungen erfreut hat, hier finden wir eher das Niveau der Reden von George W. Bush, dessen durchschnittliche statistische Satzlänge aus sieben Wörtern bestand. Dialoge finden so gut wie nicht statt, Charaktere werden kaum ausgelotet, müssen sie vielleicht auch nicht, die Kernfiguren sind bereits aus Spectre bekannt.
172 Minuten geballte Action-Unterhaltung, für mich fügt sich das ganze am Ende aber nicht zu einem harmonischen Gesamtbild zusammen, es bleibt zersplittert, fragmentiert, zu viele lose Enden, die verbunden werden sollten.
Aber wie sagt James in Diamantenfieber 1971: «Ein bezaubernder Hauch von Nichts. ... Gefällt mir.»