
Q&W: Keine Zeit für Verschwörungen
Seit diesem Frühling sind sie überall auf Mission und wollen einem zum Umdenken animieren. Die Rede ist dabei aber nicht von irgendwelchen Sekten, die auf der Strasse versuchen neue Anhänger anzuwerben, sondern von Verschwörungstheoretikern. Vor Corona habe ich mich noch köstlich über die Flat-Earth-Doku auf Netflix amüsiert und konnte es fast gar nicht glauben, dass es solche Menschen wirklich gibt. Doch dann kam die Pandemie und ich wurde eines Besseren belehrt.
Der Auslöser
Lange habe ich mich dagegen gesträubt, überhaupt etwas über dieses Thema zu schreiben, doch eine Situation auf Facebook vor kurzem hat mich dann schon ein wenig schockiert. Es ging um den Tod des Musikers Manu Bosch. Ihm zu Ehren habe ich einen Post veröffentlicht mit dem Lied «Wolka», welches er für Bündnerflaisch geschrieben hat. Während immer mehr in den Kommentaren wohlwollend an ihn erinnerten, gab es eine Person mit der ich mal musiziert habe, die im Kommentarfeld wirre Theorien von sich gab. Ich habe seine Zitate nach wenigen Sekunden entfernt, da plötzlich auf meiner Facebook-Pinnwand irgendwas von Menschenopfer, der Familie Rothschild und so weiter stand. Zuerst hatte ich das Gefühl, dass ein Virus dahinterstecken könnte, weshalb ich ihn persönlich anschrieb. Er entgegnete, dass dies alles wahr sei und die Familie Rothschild seinen Tod wolle. Mich persönlich hat dies nicht nur verstört, sondern auch irgendwie traurig gestimmt, da ich ihn als Menschen immer sehr gut mochte.
Praktisch zur gleichen Zeit hat ein Kollege von mir eine Diskussion im Bus mitangehört, bei dem ein älterer Herr behauptete, dass ihm sein Zahnarzt bei der letzten Behandlung wohl ein Chip verabreicht habe, damit Bill Gates ihn nun noch viel besser kontrollieren könne.
Bei beiden Fällen beschlich mich das Gefühl, dass da nicht Bill Gates, die Familie Rothschild, die Reptiloide, die CIA oder gar der falsche Paul Mccartney die Finger im Spiel haben, sondern bloss einige Sicherungen zu viel durchgebrannt sind. Darum hier fünf grundsächliche Dinge, für Menschen, die mir ihre Theorien schmackhaft machen wollen:
1. Ich habe absolut nichts dagegen, wenn man seine Informationen nicht nur von den öffentlich rechtlichen Medien bezieht. Ich selbst bin eine leidenschaftlicher Medienkonsument, der die Vielfalt liebt und lese alles Interessante, was mir in die Finger kommt.
2. Wenn du mir Texte voller Rechtschreibefehler zusendest, schwindet mein Interesse schneller als du «Ich stell nur Fragen.» sagen kannst.
3. «Papier nimmt alles an.» - alte Weisheit von meinem Vater.
4. Nimm dich bitte nicht so wichtig. Selbst wenn Bill Gates uns alle mit einem Chip ausstatten wollte, würde er wohl kaum bei dir starten.
5. Statt über die neue Weltordnung zu phantasieren, wie wäre es, wenn wir wieder mehr über das Klima, die Gleichberechtigung, Rassismus im Allgemeinen, die sinnlose Massentierhaltung, die Verdummung der Sprache, die Schere zwischen Arm und Reich, die Abholzung des Amazonas, unser Plastikproblem … sprechen würden?
Wenn wir es gemeinsam anpacken, können wir vielleicht Probleme lösen. Doch mit dem Verbreiten von Verschwörungstheorien werden nur neue geschaffen…