
Von Chur nach Mexico ausgewandert
Ursprünglich sind Susann und Björn beide wegen der Arbeit in
die Schweiz gezogen. Dort ging alles gut, bis die Pandemie kam und sie zum
Nachdenken gebracht habe. «Es war so, dass wir uns überlegt haben, was mal ist,
wenn unsere zwei Kinder gross sind, was mit uns ist und was wir machen wollen.
Hinzu kam, dass wir uns überlegt haben, was passiert, wenn die Zinsen weiter steigen.
Wir sind so vom Worst-Case-Szenario ausgegangen und haben uns gleichzeitig
überlegt, wie wir uns ein zweites Standbein aufbauen könnten.» Den Gedanken
neuen Aufwind gegeben hat ein Post in einer Facebook-Gruppe, den ihr Mann
entdeckt habe.
Das Community-Projekt in Mexico
«Dort wurden Personen gesucht, da ein Permakultur-Dschungelprojekt geplant war. Dies als Selbstversorgungsprojekt mit Gemüseanbau und allem auf einem
riesigen Grundstück. So ein ‘Community’- Ding, bei dem das Ziel war, dass sie
die Grundstücke teilen und sie verkauft werden.» Es habe die Möglichkeit bestanden ein grosses Grundstück zu kaufen. Einen
Drittel davon hätten sie bebauen dürfen und die anderen zwei Drittel seien für
die Gemeinschaft angedacht gewesen. «Es war schon schwer vorstellbar: Ein
grosses Grundstück im Dschungel an einem See, dabei sogar noch etwas für die
Community tun zu können und das Ganze damals noch zu einem erschwinglichen
Preis.» Ihre Idee sei dann gewesen, das Grundstück zu kaufen und einmal im Jahr
dorthin in die Ferien zu fliegen. «Dann fangen wir dort an, unser Haus zu bauen
und haben uns so überlegt, dass wir irgendwann mal für drei Monate hin gehen
und unsere Kinder werden ja auch grösser und dann haben wir sicher mehr Zeit.»
Doch die Katze im Sack wollte die Familie nicht kaufen. Bei der Besichtigung
vor Ort sei noch nicht wirklich viel ersichtlich gewesen, doch sie hätten sich
das sehr gut vorstellen können. Doch aus dem ganzen Dschungelprojekt sei letztendlich
gar nichts geworden, da die mexikanische Mentalität so sei, dass nicht wirklich
Druck vorhanden sei und nichts passiere, wenn niemand finanziell Starkes
dahinter sei.
Plötzlich AirBnB
Wie es der Zufall wollte, ergab sich, als die vierköpfige Familie in Bacalar
war, doch noch eine Option auf eine Zukunft in dem nordamerikanischen Land. Es
seien nämlich in einer Telegram-Gruppe zwei Häuser ausgeschrieben gewesen, die
man pachten konnte. «Diese hätten das Potenzial für AirBnB mit angeschlossenem
Restaurant. Ich habe das gesehen und mir gedacht, ‘wow, für mexikanische
Verhältnisse ist das der Wahnsinn.’ Unabhängig von mir hat Björn das auch
gelesen und für gut befunden, woraufhin wir uns entschieden haben, es gemeinsam
anzuschauen.» Es habe vieles von Anfang an gepasst, sagt Susann. «Zufälligerweise
hatte die Maklerin deutsche Wurzeln, hat ein paar Jahre in Deutschland gelebt
und konnte darum auch deutsch, so dass die Sprachbarriere gleich weg war. Dann
ging alles ganz schnell. Wir schauten es an und es hat alles gestimmt. Wir
haben uns dann entschieden ein AirBnB zu eröffnen und erneut auszuwandern.»
Doch bis es soweit gewesen ist, wollte die Famile erstmals erleben, wie denn
das Leben der Einheimischen vor Ort überhaupt ist. «Als die Entscheidung kam,
ob wir nun auswandern oder nicht, wollte ich einfach ins Detail gehen und nicht
nur das Mexico sehen, welches man aus den Reiseprospekten kennt.» Hier könne
man das auch wirklich machen. «Die Mexikaner sind unglaublich offen und lassen
einen in ihr Leben. Als wir dann gemerkt haben, dass sich die Kinder sehr wohl
fühlen, haben wir uns entschieden Nägel mit Köpfen zu machen.»
Auf nach Mexico
Nach einem weiteren Besuch, einem intensiven Durchrechnen und vielen
Diskussionen entschied sich die Familie Thiele erstmals für zwei Jahre den
Schritt zu wagen. Auch wenn die Unsicherheiten am Anfang gross waren, da keiner
in der Familie Spanisch sprach und nur schwierig abgeschätzt werden konnte, ob das
Geschäftsmodell auch aufgeht. Auch die durchwachsenen Rückmeldungen aus ihrem
Umfeld auf ihre Ausreisepläne seien nicht gerade motivierend gewesen. Als sie
dann aber ankamen sei relativ schnell klargeworden, dass aus diesen zwei Jahren
mehr wird und die Familie in Mexico Wurzeln schlägt. «Es ging darum, dass wir
durch diese Coronazeit sehr angeschlagen und auch sehr berührt waren. Irgendwie
hat sich das als neue Option geöffnet und uns gezeigt, dass das Leben eben
schon recht kurz ist. Wir wollten einfach etwas machen, um glücklicher zu sein
und etwas tun, bei dem man für sich selber und nicht für irgendein Arbeitgeber
arbeitet.» Der Mut der Familie Thiele ist belohnt worden, denn die Entscheidung
zur besseren Work-Life-Balance hat sich laut Susann voll ausgezahlt. Ausserdem
habe ihre Familie nun die Kritiker Lügen gestraft. «Es gab schon viele
Personen, die
sich hinter unserem Rücken den Mund über uns zerrissen haben. Es
gab da schon Stimmen, die behauptet haben, dass wir das maximal ein Jahr
durchziehen werden und dann sicher wieder zurück in der Schweiz sein werden.»
Sie hoffe, dass genau diese Leute diesen Artikel lesen werden, sagt sie
lächelnd. Ihre Tochter Yona, damals sechs Jahre alt und ihr Sohn Oskar, damals acht-jährig
seien recht schnell begeistert gewesen, da das Auswandern für die beiden auch
ein grosses Abenteuer war. «Wir waren da sehr offen ihnen gegenüber und haben
von Anfang an gesagt, wir machen das nur, wenn beide Kinder voll
dahinterstehen.»
Endlich angekommen
Susann sagt, dass sie mit ihrer Familie im Paradies angekommen sei. «Unsere
Firma heisst Camino del Alma, was übersetzt so viel wie der Seelenweg oder the
way of the soul bedeutet. Das ist sozusagen unser Motto oder sagt einfach viel
über uns aus, da das Leben zu kurz ist, um Dinge zu tun, die nicht zu einem
passen. Wir leben hier in einer Kleinstadt, die sehr sicher ist. Unsere Kinder
können alleine zur Schule, aber auch zu ihren Freunden und Hobbys fahren. Die
Mexikaner sind sehr hilfsbereit und es wird noch aufeinander geschaut. Es ist
immer wieder schön, zu spüren, dass wir hier sehr willkommen sind.» Natürlich
könne man es nicht mit anderen Gebieten in der Region vergleichen. «Es ist hier
ein bisschen die Ausnahme. Kriminalität gibt es hier nicht, denn das Kartell
hält sich hier in der Region sehr zurück und dadurch gibt es auch keine
Einbrüche oder andere Delikte.» Sie hätten inzwischen sehr gut eingelebt.
«Einzig mein Mann Björn hat hin und wieder mal ein bisschen damit zu kämpfen,
da er durch die Distanz nicht mehr so viel Kontakt mit den Freunden in der
Schweiz hat. Die fehlen ihm schon sehr. Man merkt in so einer Situation eben
auch, wer zu einem steht und wer nicht. Ich habe so einen Bruch schon mal
erlebt, als ich von Deutschland in die Schweiz gezügelt bin und darum hat es
mich persönlich nicht so mitgenommen.» Was Susann ein bisschen Mühe bereitet
hat, ist die gemütliche Mentalität der Mexikaner, welche es verunmöglicht,
vernünftig Termine mit Handwerkern auszumachen. «Die Kinder hatten ein bisschen
länger mit dem Einleben, da die Sprache neu zu erlernen für sie sehr
anspruchsvoll war. Doch als die Schule im August losging, haben wir gemerkt,
dass wir wirklich angekommen sind. Schon in der ersten Woche haben sie den
Knopf geöffnet und Spanisch gesprochen, als ob sie nie was anderes gemacht
hätten.»
Heimweh habe sie keines, da es ihr an ihrem neuen Domizil sehr gut gefalle, sagt Susann Thiele. «In der Schweiz haben wir ein bisschen erhöht gewohnt und brauchten immer ein Auto. Hier gibt’s an jeder Ecke einen ‘Tante-Emma-Laden’ und es ist alles sehr einfach zu erreichen.» Dieses Grundsortiment in der Nähe sei ein grosser Luxus. «Ich geniesse es durch die Strassen zu flanieren und zu schauen, was alles wieder entsteht.» Ihr Mann Björn vermisse hauptsächlich das Gesellige, was ihnen wegen den noch nicht so flüssigen Sprachkenntnissen aktuell noch fehle. «Die Sprachbarriere ist schon noch vorhanden. Das merken wir beispielsweise, wenn wir Gäste aus Deutschland bei uns haben und da der Funke einfach viel schneller überspringt.» Bei den Kindern komme das Heimweh im Winter hin und wieder auf, da ihnen der Schnee dann schon sehr fehle. Ihr fehlen hin und wieder die Gummibärchen, ein guter Salsiz oder auch der Bergkäse. «Wenn wir Gäste aus der Schweiz oder Österreich haben, schicke ich hin und wieder eine Liste mit Besorgungen, die dann meine Gelüste stillen.»
Meistens kommt es anders
Inzwischen vermietet die Familie Thiele drei Wohnungen hauptberuflich und setzt bei ihrem Angebot «Camino del Alma» auf Entspannung und Erholung für die Gäste aus der ganzen Welt. Ihre Apartments seien sehr zentral gelegen und deshalb auch sehr gefragt. Tipps für andere Familien, die auch mit dem Gedanken eines Neuanfangs in einem fremden Land spielen, gebe es schon ein paar, die Susann aus ihren eigenen Erfahrungen gesammelt hat. «Seid mutig. Macht das, was ihr möchtet und das was sich gut für euch anfühlt. Bleibt bei euch und lasst euch von euren Familien und Freunden nicht reinreden. Macht einfach das, was sich für euch stimmig und gut anfühlt. Jeder Weg ist steinig, aber wichtig ist, wenn man als Familie auswandere, dass man sich bewusst mache, dass jede Veränderung Zeit braucht, bis es sich richtig gut anfühlt.» Es habe auch bei ihnen am Anfang nicht alles so funktioniert, wie sie es gerne gehabt hätten und vieles sei anders als geplant gekommen. «Doch wir haben gelernt, dass das Sprichwort andere Länder, andere Sitten einen hohen Wahrheitsgehalt hat und dafür garantiert, dass es eben auch anders kommt.» Für Susann ist es wichtig, dass sie und ihr Partner sich gegenseitig stützen, wenn der Zweifel wieder mal Überhand nehmen sollte. «Man sollte einfach beim Auswandern offen sein für Veränderung und für ein anderes Leben, dann könnte es wirklich was werden.» Von einer Schnellschussaktion rät die zweifache Auswanderin jedoch entschieden ab. «Man sollte sich klar machen, dass nicht immer alles so kommt, wie man es sich vorgestellt hat, drum ist es wichtig, gut abzuwägen, ob die Veränderung sich auch mit dem Partner und der ganzen Familie verträgt.» Sie habe schon öfters gesehen, dass es bei Paaren geknallt habe, da sie in einem fremden Land nicht der Sprache mächtig waren und auch sonst mit dem Partner nicht wirklich offen kommuniziert haben. «Es kommt einfach alles ans Tageslicht, wenn man wo anders ist und die unbesprochenen Probleme nehmen sich auch in einem fremden Land keine Ferien.» Bei ihnen sei dies glücklicherweise nicht der Fall und es werde sehr aufeinander geschaut. Ein weiterer positiver Aspekt, den Susann der Auswanderung abgewinnen kann, ist, dass sie sich selbst auch sehr entwickelt habe. «Ich durfte viele interessante Dinge ausprobieren und auch mich von einer ganz neuen Seite kennenlernen. Ich bekam nicht nur die Möglichkeit ganz viele neue spannende Persönlichkeiten kennenlernen zu dürfen, sondern konnte so auch sehr an mir arbeiten und mich entfalten. In der Schweiz hätte ich nie den Mut gehabt, was komplett neues auszuprobieren.» Wenn man Veränderung zulasse, passieren ganz andere Dinge, die einen ausgeglichener und glücklicher werden liessen. Mehr zum neuen Leben der Familie Thiele in Mexico gibt es unter www.camino-del-alma.com