Wenn die Hirsche röhren
Spontan machen wir uns auf den Weg z Alp, im Schlepptau eine ehemalige Älpler Familie, über die ich im zweiten oder dritten Teil dieses Alpen-Spezials zurückkommen werde.
Am Spätnachmittag treffen wir in Cany ein und parken unsere vignettierten Autos am Wegrand. Der Weg bis dahin war holprig, die Autos schliffen ihre Chassis manchmal am Boden. Aber das macht nichts.
Kaum ausgestiegen hören wir sie schon. Die Hirsche, wie sie ihre Stimme zur Brunft erheben. Erst nur ganz weit entfernt. Und als dann die Kinder darauf aufmerksam gemacht werden, wird es still in unserer Gruppe. Die Hirsche habe nun das Sagen. Wir tauchen ein, in eine andere Welt. Feine Wolken ziehen um die Berge, ein sanfter Regenschauer rieselt auf uns hinab. Wir sind umgeben von Tannen, die den Schau Ort dahinter magisch präsentieren.
«Hörst du es?» Frage ich meinen Sohn, der seine Ohren spitzt. Die Augen weit aufgerissen, gebannt hört er zu. Mehrere Hirschrufe hallen zwischen den Bergwipfeln hin und her, sodass eine Art Echo entsteht.
«Ja! Jetzt habe ichs gehört!», ruft mein Kleiner begeistert.
Nie hätte ich gedacht, dass ich hier einmal mit meinem Kind stehen werde. An genau der gleichen Stelle, an der ich schon als Kind gestanden hatte. Dass ich ihm dieses Spektakel der Natur nahebringen darf, so wie es mir meine Eltern schon nahebrachten.
Wir machen ein kleines Feuer, wo die Kinder ihre Cervelat zum Znacht bräteln können, während wir Großen Käse und Salsiz aus der Tupperdose futtern und die Männer sich ein Bierchen gönnen.
Die Rufe der Hirsche werden immer deutlicher, kommen näher. Mit dem «Fäldstächer» entdecken wir zuerst eine ganze Herde an Hirschkühen, weit oben auf einer Lichtung. Weiter unten zwischen den kleineren Tannenwäldchen, ein richtiger Brummer von Hirsch, zusammen mit einer einzelnen Hirschkuh.
Das Wild befindet sich im Asyl. Hier dürfen sie nicht geschossen werden. Dass die Tiere das anscheinend ganz genau wissen, ist immer noch etwas, was mich überaus beeindruckt. Es ist etwas Anderes, diese schönen Tiere in freier Wildbahn erleben zu dürfen, statt in einem Wildtierpark. Auch dort hatten wir schon Hirsche in der Brunftzeit gesehen, was aber die Kinder nicht sonderlich beeindruckt hatte. Alles andere war viel zu spannend.
Hier in der Natur, wo die Tiere frei sind, entsteht eine Spannung, die die Kinder und auch uns Erwachsene umarmt. Nie weiss man, wie nahe ein Hirsch kommt, wo sie hingehen und welchen anderen Tieren wir über den Weg laufen. Alle ist rau und frei. Und genau diese Spannung ist es, die einem im Kopf stecken bleibt, ein Erlebnis, das man nicht vergisst. Etwas, das ich auch von meiner Kindheit nie vergessen habe und heute noch als etwas Besonderes ansehe. Froh darüber, dass ich dieses Erlebnis teilen durfte.