
Wie das Hüpfrössli rutschen lernte
Wie das Hüpfrössli rutschen lernte oder unser erster Spielgruppentag
6.50 Uhr: Der Handywecker reisst mich mit zartem Meeresrauschen aus dem Halbschlaf. Ich konnte die ganze Nacht nicht richtig schlafen, weil ich Angst hatte, zu verschlafen. Denn heute geht mein Grosser zum ersten Mal in die Spielgruppe. Auf diesen Tag hat er sich schon lange gefreut und ich wollte ihm das auf keinen Fall vermasseln. Während ich normalerweise das Weggli bin, das mit der Konfi-Seite auf den Boden fällt, bin ich an diesem Morgen das Brot, das aus dem Toaster springt. Um 7 Uhr läuft bereits die Kaffeemaschine. Ich frühstücke gemütlich mit meinem Kleinen, während sich mein Grosser noch tief im Schlummerland befindet.
Eine halbe Stunde später sind wir bereits gewaschen und angezogen und wecken den Grossen. Auch dieser steht, im Wissen, dass er heute endlich in die Spielgruppe darf, ohne Murren sofort auf. Während er frühstückt, schiebe ich bereits die nächste Paranoia, dass wir zu spät kommen könnten. Warum hatte ich 9.30 Uhr in meinen Kalender eingetragen? Die Spielgruppe fängt doch normalerweise um 9 Uhr an – das bestätigt mir auch Google. Ich rief also die Spielgruppenleiterin an, um auf Nummer sicher zu gehen. Ich kann kaum «Hallo» sagen, da reisst mir mein 3,5-Jähriger mit den Worten, «Ich will auch mit der Spielgruppenleiterin sprechen!» das Telefon aus der Hand und sagt in den Hörer: «Hallo Miha-ela, ich freue mich zu dir in die Spielgruppe zu kommen, bis gleich!» und gibt mir das Telefon wieder zurück. Was für ein charmanter und offener Kerl! Ich höre die Spielgruppenleiterin durch die Muschel lächeln.
9.30 Uhr: Der Schnuppermorgen beginnt eine halbe Stunde später als die Spielgruppe (Aha!). Die Kinder betreten den grossen Raum voller Spielsachen. Während mein Grosser sofort seine Schuhe in der Garderobenecke auszieht und direkt auf die Hüpfrössli vor der Fensterfront zusteuert, guckt sein kleiner Bruder «gwundrig» aus der Traghilfe. Tatsächlich hat keines der Kinder grosse Mühe sich von seinen Eltern zu lösen und alle erkunden mit Interesse die neuen Spielsachen, während wir Erwachsenen das Formular zu Allergien und Co. ausfüllen und das Infoblatt zu Corona genau studieren.
Schnell komme ich mit einem englischsprachigen Elternpaar ins Gespräch. Plötzlich bemerke ich im Augenwinkel, wie mein Grosser sich das Hüpfrössli wie ein Rucksack über die Schulter wirft und die Treppe hoch zur Rutschbahn steigt. Mir ahnt Schlimmes. Ich stehe in der Garderobe als würde ich am Rande eines Fussballplatzes stehen und fuchtle wie wild mit meinen Armen, in diesem Fall aber um die Spielgruppenleiterin auf mich aufmerksam zu machen anstatt den Schiedsrichter. Selber einschreiten getraue ich mich nicht, denn eigentlich sind wir Eltern ja gar nicht da, sondern nur als Backup für die Kinder. Die Spielgruppenleiterin reagiert schnell und entschärft die Situation diplomatisch, in dem sie meinen Sohn, zuerst das Rössli rutschen lässt und dann sich selbst. Gefahr gebannt – dachten wir zumindest! Es dauert keine zwei Minuten bis sich das nächste Kind das Rössli auf den Rücken schnallt und versucht darauf die Bahn runter zu rutschen. Der Spielgruppenleiterin bleibt nichts anderes übrig, als die ganze restliche Stunde mehr oder weniger beim Turm stehen zu bleiben und Unfälle zu vermeiden. Ich wende mich wieder meiner Gesprächspartnerin zu. Diese fragt mich mit einem Grinsen im Gesicht: Ist das nicht deiner? Ich grinse mit Stolz zurück und sage: Ja, dieses kleine Kerlchen mit den Flausen im Kopf ist meiner!
10.30 Uhr: Die Stunde vergeht wie im Flug. Die Spielgruppenleiterin verkündet das Ende. Natürlich muss mein Sohn ihr dann noch persönlich sagen, dass er aber lieber noch ein wenig bleiben würde. Ich verkneife mir das Lachen und mache meinen Grossen darauf aufmerksam, dass wir wiederkommen und er das nächste Mal sogar doppelt so lange bleiben darf. Er schaut mich skeptisch an. Ich dopple nach: «Wenn wir jetzt gehen, haben wir noch Zeit auf dem Nachhauseweg auf einem Spielplatz zu halten, bevor wir für Papa kochen müssen!» Dieses Argument lässt er gelten und zieht sich zu meinem Erstaunen zum ersten Mal ohne Hilfe seine Schuhe an. Ich wusste, dass er das kann. Trotzdem wollte er bisher immer meine Hilfe haben. Zu sehen, wie die anderen Kinder sich selber anziehen, scheint ihn offensichtlich motiviert zu haben. Welch toller Nebeneffekt!
Eine Woche später um 9.00: Wir Mamas und Papas stehen alle gespannt vor der Türe der Spielgruppe. Im Schlepptau unsere kleinen Grossen, die alle stolz einen lässigen Rucksack tragen. Die Spielgruppenleiterin kommt, um die Kinder abzuholen. Wird mein Grosser wirklich – wie alle wegen seines aufgeschlossenen Charakters vermuten – ohne Problem alleine in die Spielgruppe gehen? Ich muss an dieser Stelle sagen, dass er bis zu diesem Zeitpunkt nur alleine bei seinen Nonni war. 100 Prozent sicher war ich mir darum nicht – bis er mir einen Kuss auf den Mund drückt, seinem Bruder auf meinem Arm zuwinkt und gleichzeitig alle Kinder zusammentrommelt, um gemeinsam mit ihm rein zu gehen. Ich bleibe wie angewurzelt stehen, eine Träne kugelt über meine Wange... Ach was, nur ein Witz! Ich packe so schnell ich kann meine Sachen und fahre zum Kaffee trinken an den Wochenmarkt. Nicht, dass er es sich noch anders überlegt! ;-)