«Maienfeld ist ein Teil meiner Kindheit»
Seit ihrem 13. Lebensjahr schreibe sie schon, sagt Mireille Zindel. Seit diesem Zeitpunkt sei ihr klar gewesen, dass sie einmal Schriftstellerin werden wolle. «Ich wollte nie etwas anderes sein. Mein erstes Manuskript trug den Titel ‘Eli’, was der Name der Protagonistin war.» Dieses erste Werk bewahre sie noch heute in einem kleinen Koffer bei sich zuhause im Estrich auf. «Es ist fast so, als wartete es auf seine Reise.» Der Name der Protagonistin habe es in ihr Debüt «Irrgast» geschafft, das 2008 erschienen ist. «Es ist aber eine ganz andere Eli, als die Eli aus meinem ersten, unveröffentlichten Text. Das Manuskript scheint noch nicht fertig zu sein und Eli tatsächlich auf mich zu warten.»
Ein Werk von insgesamt sechs Bänden
Es sei immer ihr Wunsch gewesen, publiziert zu werden, doch
es habe eine Weile gebraucht, bis sie sich getraut habe, einen Verlag zu
suchen. «Vorher habe ich für mich geschrieben, habe viel gelesen, Germanistik
und Romanistik studiert, als Journalistin und Werbetexterin gearbeitet.» Heute
seien ihre beiden ersten Romane «Irrgast» (2008) und «Laura Theiler» (2010)
vergriffen, weil der Salis Verlag, wo sie erschienen sind, eingegangen sei. «Das
ist sehr schade, denn erst kürzlich war ich wieder an einer Schule eingeladen,
wo eine Klasse ‘Irrgast’ las. Die Lehrerin musste die Exemplare bei mir persönlich
beziehen, da ich im Besitz eines kleinen Restbestandes bin.» Bereits mehrere
Lehrpersonen hätten gerne «Irrgast» oder «Laura Theiler» als Schullektüre
gelesen, wie sie im Nachhinein erfahren habe, doch da die beiden Bücher vergriffen seien, wurde darauf verzichtet. Man
könne sich gerne bei ihr melden, falls wieder mal so ein Fall eintreten wird. Das Buch «Kreuzfahrt» (2016) ist bei Kein & Aber erschienen. «Die
Romane vier und fünf – ‘Die Zone’ (2021) und ‘Fest’ (2024) – wurden bei
lectorbooks publiziert. Zuletzt erschien das Buch «Bald wärmer», das eine
Ausnahmeerscheinung in ihrem bisherigen Werk bilde. Bei diesem handelt es sich
um einen autobiografischen Text, der im TVZ Verlag erschienen ist.
Ein Freigeist
Mireille Zindel schreibt Gedichte, Shortstories, Artikel und
Reportagen und veröffentlicht Videos. Auch wenn es so aussieht, dass sie die
Abwechslung schätzt, möge sie lieber Routine, was die Arbeit angehe. «Die
verschiedenen Formen hängen mit dem jeweiligen Inhalt zusammen. Das steuere ich
nicht bewusst.» Tipps an andere Schreibende gebe sie nicht gerne, da sie es selbst
nicht möge, Ratschlägen zu folgen. «Ich vertraue lieber meinen eigenen
Erfahrungen und meinem eigenen Instinkt. Deshalb käme es mir auch nicht in den
Sinn, jemandem Tipps zu geben, ob gefragt oder ungefragt.»
Tief unter die Haut
Das Schreiben bedeute ihr auch heute noch zusammen mit ihren
Kindern und den Menschen, die sie liebe, alles. Im vergangenen Jahr sind gleich
zwei Bücher von Zindel erschienen. Somit drängt sich die Frage auf, ob sie
immer gleichzeitig an mehreren Dingen schreibt. Das verneint Mireille Zindel.
«Ich schreibe immer an einer einzigen grossen Sache und daneben vielleicht an
kleineren Auftragsarbeiten oder an einem Gedicht, wenn ein Gedanke zu einer
kleineren Form führt und sich nicht in den grossen Text, der am Entstehen ist,
einfügt.» «Bald wärmer», welches im September 2024 erschienen sei, ist laut ihr
ein autobiografisches Werk, das sie zehn Jahre zuvor geschrieben habe. «Es ist
ein Zufall, dass es im selben Jahr wie mein letzter Roman «Fest» (Februar 2024)
erschienen ist.» Das aktuelle Buch der Autorin ist eines, das tief unter die
Haut geht. «Meine erste Tochter Zoé starb nach zwölf Tagen an einer unheilbaren
Krankheit. Das war 2008.» Sie habe sechs Jahre gebraucht, um darüber schreiben
zu können. Als es passiert war, dachte sie, dass sie nie darüberschreiben
würde. «Doch dann musste ich es auf einmal tun, es musste aus mir raus. Ich
habe versucht, allgemeine Betrachtungen herauszuarbeiten, nicht nur von meinen
persönlichen Erfahrungen zu erzählen.» Dafür habe sie viel über den Tod und das
Trauern gelesen und recherchiert. Ob ihr das Schreiben bei der Verarbeitung und
Heilung behilflich gewesen ist, könne sie schlichtweg nicht sagen. «Ich weiss
nicht einmal, ob ich geheilt bin. Vermutlich nicht.» Die Quintessenz, zu der
sie gekommen sei, sei folgende: «Die Verstorbenen leben unter uns, indem sie
ihre Hinterbliebenen verwandeln. Insofern lebe ich in einer konstanten
Verwandlung und Zoé ist und bleibt ein Teil von mir.»
Auf Heidis Spuren
Auch wenn Mireille Zindel in Zürich aufgewachsen ist, erinnert sie sich gut daran, wie sie als Kind gemeinsam mit ihrer Familie öfters ihre Grossmutter in Maienfeld besuchte. «Der Ort hatte für mich etwas Magisches. Natürlich auch die ganze Heidi-Geschichte, die sich dort abgespielt haben soll.» Auch ihre Söhne habe sie zu den Schauplätzen geführt. Sie sei schon als Kind auf dem Falknis oben gewesen und wenn sie auf der Autobahn an Maienfeld vorbeifahre, schaue sie jeweils hoch zum Gipfel und rüber zu den Rebbergen und zur schmucken Gemeinde. Im Roman ‘Heidi’ von Johanna Spyri sei Maienfeld der Ankunftsort der Protagonistin. Ähnlich sei das auch in ihrer Familiengeschichte gewesen. «Mein Vater ist mit zehn Jahren aus dem Südtirol nach Maienfeld gekommen und dort aufgewachsen. Maienfeld ist ein Teil meiner Kindheit.»